Hörsaalkinos sind aus der deutschen Hochschullandschaft heutzutage kaum noch wegzudenken. Tausende Besucher strömen Semester für Semester in die Hörsäle des Landes, wenn es dort statt „Das ist übrigens prüfungsrelevant!“ heißt „Viel Spaß beim Film!“.
Die Geschichte von unifilm.de fand vor rund 35 Jahren mit Spielstätten in Göttingen und Braunschweig ihren Ursprung. Heute umfasst das Netzwerk bundesweit bereits 90 Kinos in 81 Hochschulen. Mit mehr Kinos sind über die Jahre auch immer neue Formate entstanden, die das Netzwerk bereichern – vom Science Cinema bis hin zum Mitmachkino, wie bei der Feuerzangenbowle oder den HighSchool-Musical-Filmen.
Wie war Hörsaalkino früher und was hat sich bis heute verändert? Auf welche Highlights kann man zurückblicken und welche Hindernisse mussten überwunden werden? Wie ist das heutige unifilm.de-Netzwerk entstanden? Über diese Fragen haben wir uns mit Karsten Leffers, dem Gründer von unifilm.de, sowie dem Geschäftsführer Georg Schneider unterhalten.
DIE ANFÄNGE
Seit wann gibt es schon Hörsaalkinos und wo ging es eigentlich los?
KARSTEN: Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Was ich weiß ist, dass 1973 hier in Göttingen der Campusfilm gegründet wurde, der Ausgangspunkt vom heutigen unifilm.de. Bei der Gründung hat man sich wohl Hilfe von anderen Studierenden aus Braunschweig geholt, die dort ungefähr zwei Jahre vorher das „Studio für Filmkunst“ gegründet hatten, wahrscheinlich eins der ersten Hörsaalkinos.
Wurde das Konzept von Anfang an gut angenommen, und wie hat sich das Phänomen in Deutschland verbreitet?
KARSTEN: Als ich ein bis zwei Jahre nach der Gründung vom Campusfilm dazugestoßen bin, war es schon die absolute Supershow. Man muss sich das so vorstellen, vom Film hat man eigentlich kaum etwas mitbekommen, weil das Bild damals noch so dunkel war, dass man es auf der Leinwand kaum finden konnte. Aber es gab Ton und das Publikum hat sich über die Texte königlich amüsiert. Der 900-Platz-Hörsaal war eigentlich immer voll bis obenhin und als die Technik immer besser wurde und es irgendwann sogar ein richtiges Bild gab, war der Spaß umso größer. Gefühlt war das damals noch mehr Party als Kino, da wurde Film gefeiert. Die Attraktion warnicht der Film selbst – damals hatten wir ja immer noch richtig alte, die man im Fernsehen schon zehnmal gesehen hatte – sondern das gemeinsame Film-Gucken.
Durch den sogenannten Kinokrieg und die Feuerzangenbowle hat Campusfilm dann eine starke öffentliche Wahrnehmung bekommen und die Idee ist auch in andere Hochschulen diffundiert.
Du hast ihn gerade schon erwähnt, Ende der 80er Jahre gab es in Göttingen den sogenannten „Kinokrieg“ – was hat es damit auf sich?
KARSTEN: Über die Jahre hat sich Campusfilm immer weiterer Beliebtheit erfreut und wurde immer größer – irgendwann gab es dann sogar dreimal die Woche Kino an der Uni. Das war den örtlichen Kinobesitzern aber ein Dorn im Auge, denn sie haben Kino für das Vierfache verkauft – was ja auch vollkommen richtig ist. Die haben Multiplex-Qualität und höhere Kosten und müssen daher auch höhere Preise kassieren. Aber an der Uni ist das halt nicht nötig und auch gar nicht möglich – die Filme laufen da ja schon gar nicht mehr als Erstaufführung, sondern in der zweiten Welle.
GEORG: Eine harte Hörsaalbank ist ja auch nicht so komfortabel wie ein gepolsterter Kinosessel.
KARSTEN: Genau. Aber trotzdem, es ist eine Alternative – inhaltlich und preislich – und das war den Kinobetreibern nicht recht. Daher hat man versucht, die Lizenzgeber davon zu überzeugen, uns keine Filmrechte mehr zu geben.
Einmal kam es tatsächlich dazu, dass wir zwei Wochen lang keine Filme mehr zeigen konnten und die geplanten und beworbenen Vorstellungen ausfallen mussten.
Wir haben uns dann mit einem Kino in Braunschweig zusammengetan und gemeinsam gewerbliche Lizenzen beschaff t, indem wir direkt an die zuständigen Verleiher getreten sind. Am Ende sind wir mit einem Kofferraum voll neuer Filme zurückgekehrt, von denen ich vorher noch nicht mal zu träumen gewagt hätte. Gefühlt war das ein Kofferraum voll Gold. Das hat uns auch noch mehr Besucher gebracht – der Schuss ging also nach hinten los. Alles war dann erstmal gut, bis eine große Kinokette nach Göttingen expandiert ist und der Betreiber von der Lokalzeitung gefragt wurde, was er als erstes machen würde – seine prompte Antwort war „Campusfilm abschaffen!“. Und genau das hat er dann auch versucht – wieder über die Lizenzgeber, aber auch politisch und über die Hochschule.
Es ging sogar so weit, dass er der Zeitung von angeblichen Schwarzgeldern erzählt hat, sodass plötzlich das Finanzamt bei uns vor der Tür stand.
In der Öffentlichkeit und in den Medien wurde das dann als „Kinokrieg“ bezeichnet. Erfolg hatte er am Ende allerdings nicht – Campusfilm gibt es heute immer noch, nur halt unter dem Namen „Unikino“. Inzwischen hat glaube ich auch jeder verstanden, dass die Hochschulkinos für die Kinolandschaft nicht schädlich, sondern eine Bereicherung sind, weil sie einfach Lust auf Kino und große Leinwand machen.
GEORG: Es sind ja jetzt auch viele Jahre vergangen seit dem „Kinokrieg“, aber noch heute ist es eine unserer Aufgaben im unifilm.de-Netzwerk, einzelne Unikinos vor solchen Vorwürfen zu verteidigen. Denn vereinzelt, aber immer mal wieder, kommt es an manchen Standorten dazu, dass lokale Kinobetreiber versuchen, den Hörsaalkinos das Leben schwer zu machen. Das können wir mit unserer Erfahrung aber gut aus der Welt schaff en. Und mit den großen Kinoketten haben wir mittlerweile sogar immer mal Kooperationen.
„Die Feuerzangenbowle“ ist heute ein absolutes Kultevent an deutschen Hochschulen und die Göttinger Nikolausparty legendär – wie kam es dazu?
KARSTEN: Der Anfang war tatsächlich Zufall – uns hat kurz vor Weihnachten noch ein Film gefehlt. Spontan haben wir uns für die Feuerzangenbowle entschieden und für so einen alten Film kam eine Menge Leute. Schnell hat sich eine jährliche Tradition eingebürgert und jedes Mal kamen mehr Besucher. Irgendwann haben wir den Leuten schon Glühwein angeboten, wenn sie auf die nächste Vorstellung warten mussten. 1988 haben wir dann überlegt, wie wir das Ganze noch größer aufziehen können, mit ein bisschen Fete. Meine spontane Idee:
„Lasst uns doch ein Symphonieorchester dazusetzen!“ – ein völlig irrsinniger Gedanke. Aber am Ende ist das Symphonieorchester tatsächlich gekommen.
Wir haben dann in vier Hörsälen ununterbrochen den Film gezeigt, eine Jazzband gab es auch noch, wir hatten Bier, ohne Ende Glühwein und zum Schluss noch ein bisschen Disco. Da das ja ganz schöne Kosten waren, haben wir im Vorfeld auf 4.500 Besucher gehofft. Wir hatten unsere Plakate noch nicht mal aufgehängt, als etwas völlig Unvorhergesehenes passiert ist. Bei „Wetten, dass..?“ war ein Göttinger Student, der behauptet hat, er könne „Die Feuerzangenbowle“ auswendig – und Wettpate dafür war dann niemand anders als Heinz Rühmann. Die Wette wurde gewonnen und Heinz Rühmann gefragt, wie es denn käme, dass ein Student den Film auswendig kenne. Da meinte er, das wäre völlig verrückt, da würden sich jährlich total viele Leute versammeln und den Film gucken. Er selbst würde jedes Jahr eine Einladung bekommen und nun wäre es wohl an der Zeit, die mal wahrzunehmen. Am Ende kam er nicht, aber dafür alle anderen – und die erlebten dann eine ganz fantastische Party. Um die 10.000 Leute waren da – das war einer der irrsinnigsten Momente, die ich beim Unikino je erlebt habe, und der Beginn eines Kults.
VON CAMPUSFILM ZU UNIFILM.DE
Karsten, du bist der Gründer von unifilm.de. Wann und wie kam die Idee auf, eine Firma zu gründen?
KARSTEN: Im Prinzip kam die Idee auf, als ich Mitte der 80er Jahre mein Examen gemacht habe. Ich habe BWL studiert und danach war die Frage, wie geht es weiter? Meine Eltern hätten sich gut vorstellen können, dass ich in ihren Betrieb mit einsteige. Aber dann war da auch noch das Unikino. Schon als Schüler wurde ich damals beim Campusfilm so herzlich aufgenommen und während meines Studiums habe ich ja dann auch das heutige Braunschweiger Unikino mit aufgebaut. Auch die Lizenzen hingen an meiner Person und so kam die Idee auf, das als Dienstleister für Studierende zu machen, die an ihrer Hochschule Kino machen wollen – und das war dann im Prinzip die Geburtsstunde von unifilm.de. Auf einen Ruck waren die ersten knapp 20 Kinos dabei, die sich bis dahin schon gegründet hatten und sich uns angeschlossen haben.
Georg, du bist studierter Jurist. Wie bist du denn bei unifilm.de gelandet?
GEORG: Wie so vieles im Leben war das auch Zufall. Als ich mein Studium aufgenommen habe, wollte ich ursprünglich noch in den diplomatischen Dienst gehen, mit unifilm.de hatte ich nichts am Hut. Eines Tages kam ich dann aber mal mit dem Mitbewohner eines Kommilitonen ins Gespräch und der hat gefragt, ob ich nicht beim Unikino mitmachen möchte. Ich mochte schon immer Filme und war auch schon mal da gewesen, also dachte ich „Warum nicht?!“ – das hat mir dann so viel Spaß gemacht, dass ich mich entsprechend engagiert und irgendwann die Leitung übernommen habe. Auch im Braunschweiger Unikino habe ich mitgeholfen, und als sich mein Studium dem Ende zuneigte, hat Karsten mich dann gefragt, was ich danach eigentlich vorhabe...
KARSTEN: Mittlerweile bestand das Netzwerk schon aus 28 Kinos und das war kaum noch zu schaffen – wir brauchten Unterstützung und da kam Georg ins Spiel.
Wenn ihr ans Hörsaalkino von damals zurückdenkt, was ist eurer Meinung nach die größte Errungenschaft bzw. Weiterentwicklung?
KARSTEN: Die Technik! Neben dem Thema Lizenzen und der Logistik vor allem die Technik. Also irgendwann nicht mehr auf diese 16mm-Kopien angewiesen zu sein, das war schon großartig. Das war ja ein Prozess – erstmal haben wir Videokassetten abgespielt, bei dem Gedanken sträuben sich mir ja heute die Nackenhaare, obwohl die von der Auflösung her besser waren als die 16mm-Kopien.
GEORG: Eindeutig kann man sagen, dass die Bildqualität, die wir heute dank der modernen Beamer in den Hörsälen anbieten können, nicht zu vergleichen ist mit der von früher – heute würde bei der Qualität wahrscheinlich jeder Student sofort aus dem Hörsaal rennen. Und wie Karsten schon gesagt hat, auch was die Lizenzen angeht, sind wir heute ganz anders aufgestellt. Während man früher noch regelmäßig darum bangen musste, haben wir heute ein gutes Netzwerk und können rund 95% von dem abdecken, was für unsere Kinos von Interesse ist – komplett rechtssicher und auf einem ganz stabilen Fundament.
Und was vermisst ihr vielleicht von früher?
GEORG: Bei einer Sache finde ich wirklich schade, dass es die heute nicht mehr gibt: bei den 16mm-Filmen konnte man früher den Film auch mal rückwärts laufen lassen, wenn man wollte… KARSTEN: Mit Ton! GEORG: Genau. Und das war natürlich immer eine riesen Gaudi, wenn der Vorführer an der richtigen Stelle auch mal den Hebel umgelegt hat und die Szene dann erst rückwärts und anschließend nochmal lief.
Karsten, was war für dich ein besonderes Highlight in deiner jahrzehntelangen Hörsaalkino-Zeit?
KARSTEN: Ein wirklich irres Erlebnis war das mit dem Symphonieorchester bei der Feuerzangenbowle – da stand ich oben auf einem Balkon, habe runtergeguckt und konnte es nicht fassen. Die Leute gingen ab wie auf einem Tina-TurnerKonzert.
Georg, was macht Hörsaalkino so besonders?
GEORG: Auf jeden Fall die Stimmung – die ganz besondere Stimmung. Da gehört es dann auch mal dazu, dass man – wenn der richtige Film läuft – mitsingt, mitmacht, mitklatscht, sich verkleidet. Und die Vielfalt im Unikino ist auf jeden Fall etwas ganz Besonderes – wenn ich da jetzt mal an unser Netzwerk denke, dann fallen mir Pizza-Abende ein, das Science Cinema, die Feuerzangenbowle und andere Specials. Das ist einfach ein ganz besonderes Gemeinschaftserlebnis.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft von unifilm.de?
GEORG: Kurzfristig wünsche ich mir, dass wir die magische Zahl von 100 Hörsaalkinos in unserem Netzwerk knacken und auch weiter weiße Flecken auf der Karte beseitigen – wir möchten gern an allen Hochschulen Studierenden die Chance geben, Filme zu schauen. Und wenn ich irgendwann mal aufhöre, gerne auch 150.
KARSTEN: Warum nur 150?
Noch eine Anekdote zum Abschluss?
GEORG: Nie wieder war ich ohne Sport innerhalb von 5 Sekunden so klatschnass geschwitzt, wie als ich mal „Herr der Ringe“ auf links in den Projektor gepackt hatte. Es war dann nichts zu hören – stattdessen sah man die Tonspur im Bild. Die Besucher wurden immer unruhiger und begannen zu eskalieren und zu johlen. Ich saß mit 180er Puls an der Maschine und wusste direkt, das ist keine Sache, die in 10 Sekunden wieder erledigt ist.
KARSTEN: Bei mir war es im Prinzip ähnlich. Ich habe den Film zwar nicht auf links gedreht, aber ich bin auch schon mal ordentlich ins Schwitzen gekommen. Wir hatten mal so viele Besucher, dass wir einen dritten Hörsaal eröffnen mussten – dort hatten wir keinen festen Projektor und mussten auf einen tragbaren ausweichen. Und als ich dann den letzten Rollenwechsel machen wollte, war da plötzlich keine Filmrolle zu sehen – die steckte tief im Projektor fest, hoch komprimiert. Hinterher dann wieder was aus den Fragmenten zu machen, was halbwegs wie eine „Amadeus“-Kopie aussah, das war auch nicht ganz einfach.
GEORG: Ja, der Filmfraß... Ich habe auch mal an einer Filmrolle herumgebastelt – zuhause habe ich einen Original-Schnipsel aus „Herr der Ringe“, auf dem der Eine Ring zu sehen ist. Den habe ich mir ausgeschnitten – illegalerweise natürlich, das hat aber keiner gemerkt.
KARSTEN: [lacht] Bei der Filmlänge fällt es ja nicht auf, wenn eine vierundzwanzigstel Sekunde fehlt…